Der Fisch mit dem Licht in sich

 

 

Ein Fisch schwamm durch das Meer. Wie jeden Tag sah er
sich die Sonnentänzer an. Für ihn waren es Sonnentänzer, für
andere waren es Flecken von Sonnenlicht.
Jeden Tag schaute er eine große Weile den Tänzern zu.
Und wenn er spürte, daß auch er zu tanzen anfing, schwamm
er weiter.
Es lebte aber auch eine uralte Flunder in dem gleichen Meer.
Den ganzen Tag lag sie auf dem Meeresboden und schimpfte.
Sie hatte schon vergessen, daß es Licht gab. Die Augen hielt
sie geschlossen.
Um sie herum schien es dunkler zu sein als im ganzen Meer.
Eines Tages kam der kleine Fisch vorbei.
Er war Bote und sollte einen goldenen Ring zu einer
Königstochter bringen.
Er blieb bei der Flunder stehen. Leise bewegten sich seine
Flossen.
Die Flunder spürte seine Wellen. Da öffnete sie die Augen.
Sie wunderte sich. Der Fisch war viel größer, als seine
Wellen es spüren ließen. Das kam, weil er sich so leicht und
voller Licht fühlte.
Hallo Flunder, sagte der Fisch.
Hallo Fisch, sagte die Flunder.
Sie wollte eigentlich schimpfen. Aber sie konnte nicht.
Warum liegst du hier? Geht es dir gut? fragte der Fisch.
Flundern, weißt du, liegen gern am Meeresgrund.

Aha, sagte der Fisch. Aber warum liegst du an einer so
dunklen Stelle?
Die Flunder sah sich um.
Ach weißt du, die Dunkelheit ist in mir drin und so dunkel,
daß der Platz in mir nicht ausreicht.
Aha, sagte der Fisch. Aha. Er tänzelte ein bißchen.
Ich sehe jeden Tag den Sonnentänzern zu. Da hole ich mir
Licht.
Die Flunder spürte, wie der dunkle Druck in ihr weniger
wurde. Da konnte sie besser atmen.
Vielleicht kann ich ja auch tanzen, dachte sie.
Laut sagte sie: Fisch, ich wünschte, du kämst zu mir und
erzähltest mir von den Sonnentänzern.
Der Fisch überlegte. Dann sagte er: Ich komme. Und erzähle
dir von den Sonnentänzern. Er bewegte die Flossen.
Jetzt muß ich los. Den Ring bei der Königstochter abgeben.
Er schwamm erst langsam, dann blitzschnell davon.
Die Flunder aber lag wieder allein. Sie flüsterte heimlich.
Immer wieder sagte sie: Sonnentänzer. Sonnentänzer.
Und jedes Mal blitzte etwas in ihr auf.
In der Nacht träumte die Flunder zum ersten Mal seit langer
Zeit.
Und als sie am Morgen aufwachte, wußte sie, daß es noch
andere Flundern in diesem Meer gab. Das hatte sie vergessen.
Sonnentänzer, flüsterte sie.
Und wartete auf den kleinen Fisch.

 

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Textauszug aus "Wo der Regen wohnt"